Rückblick Fachkunde

Rückblick: 24. Fachkunde für Reha-Berater/-innen, Thema: Drogenabhängige mit psychiatrischen Zweitdiagnosen

Dr. Abi Joseph, Chefarzt an der Fachklinik für Drogenrehabilitation Wermsdorf informierte am 26. und 28. Oktober über Herausforderungen und Chancen in der beruflichen Rehabilitation drogenabhängiger Menschen mit psychiatrischen Zweitdiagnosen.

Nach eineinhalb Jahren Corona-Pause konnten nun das erste Mal wieder Fachkunde-Veranstaltungen im Berufsförderungswerk Leipzig durchgeführt werden. 120 Reha-Berater kamen an zwei Tagen zu der Doppelveranstaltung und ließen sich von Dr. Abi Joseph über Drogen und ihre Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit, psychiatrische Zweitdiagnosen wie die Borderline-Störung und über Chancen der Therapie informieren.

 

Dr. Abi Joseph ist Psychiater und Notfallmediziner und seit elf Jahren Chefarzt an der Fachklinik für Drogenrehabilitation in Wermsdorf. Die Klinik ist auf die Behandlung von Drogenabhängigen mit schweren psychiatrischen Zweitdiagnosen spezialisiert.

Drogenarten

Der erfahrene Mediziner informierte zunächst über verschiedene Drogen und ihre Wirkung auf die Erwerbsfähigkeit. Die in Sachsen am häufigsten konsumierte illegale Droge ist laut der sächsischen Beratungsstellen Crystal Meth, ein Methamphetamin. Im zweiten Weltkrieg von offiziellen Stellen an Soldaten als Aufputschmittel abgegeben, ist Pervitin heute als Crystal Meth insbesondere in Grenznähe zu Tschechien billig zu haben. Typische Nutzer der Substanz sind Montagearbeiter, die mehrere Stunden nach Süddeutschland fahren, dort 40 Stunden oder mehr arbeiten und dann am Wochenende für ihre Familie fit sein wollen. Ebenfalls ein typischer Beruf ist Koch. In der Gastronomie Beschäftige sind einem hohen Arbeitsdruck, militärischen Strukturen und nicht selten Mobbing ausgesetzt. „Zu Crystal Meth greifen viele Menschen, um im Job Leistung bringen zu können. Ein Patient ist zum Beispiel auf der Arbeit dadurch aufgefallen, dass er völlig übermotiviert war“, berichtet Dr. Joseph aus der Praxis.

Seine Beobachtung: „Crystal Meth nehmen viel mehr Menschen, als man gemeinhin glaubt. Ihr Drogenmissbrauch fällt oft über Jahre gar nicht auf.“ Präventionsbilder, etwa von desolaten Gebissen, decken sich nicht unbedingt mit der Wirklichkeit. Vielmehr funktionieren Konsumenten lange Zeit sowohl in der Leistungsgesellschaft als auch in der Familie gut. So hätten Reha-Teilnehmer im Schnitt 15 Jahre Konsumzeit hinter sich, so Dr. Abi Joseph.

Crystal werde zumeist geschnieft und ist nach vier bis fünf Tagen aus dem Körper ausgeschieden. „Konsumenten fühlen sich gut bis euphorisch, zeigen einen hohen Rede- und Aktivitätsdrang und Enthemmung“, berichtete Dr. Joseph über typische Wirkungen. Junge Frauen setzen es auch als Diätmittel ein. Früh traumatisierte Menschen wie Patienten mit Borderline-Störung nehmen es, um zu funktionieren. Unter Crystal bleiben ihre typischen Flashbacks aus. „Das Problem ist, dass die Konsumenten immer mehr der Droge brauchen, um fit zu sein. Wer jedoch täglich Crystal Meth konsumiert, hat bereits nach zwei Wochen ein 70prozentiges Risiko für eine Psychose“, sagte Dr. Joseph.

Auch Cannabis, die am zweithäufigsten konsumierte Droge, kann zu Psychosen führen. Das Problem: Modernes Cannabis ist chemisch so verändert, dass die Wirkung verstärkt zu psychischen Problemen führt. Die Zahl der Einweisungen aufgrund von Psychosen, die auf Cannabiskonsum zurückgehen, ist in den letzten Jahren eklatant angestiegen. Je jünger die Konsumenten, umso stärker die Auswirkungen auf das Gehirn. Auf dem Vormarsch ist auch GHB, auch als K.O.-Tropfen bekannt. Es wirke wie Turboalkohol, erklärte der Mediziner.

Doppeldiagnosen

„Das Suchthilfesystem in Deutschland ist international eines der besten“, sagte Dr. Joseph. Defizite stellt er jedoch bei der Prävention aufgrund fehlender Zuständigkeiten fest.

Dabei sind die Auswirkungen von Drogenkonsum auf soziale, gesundheitliche und psychische Aspekte enorm. Bei Konsumenten werden gehäuft Doppeldiagnosen gestellt. Eine Doppeldiagnose wird als gleichzeitiges Vorkommen einer Substanzgebrauchsstörung und einer psychischen Störung definiert. „Drogenkonsum ist oft das geringste Problem der meisten unserer Patienten“, berichtete Dr. Joseph. So können durch den Substanzmissbrauch Psychosen entstehen. Umgekehrt werden Suchtmittel oft auch als Reaktion auf eine bestehende Psychische Störung konsumiert. Borderline-Patienten etwa hilft Crystal Meth, sich zu regulieren. Das typische Ritzen lässt unter dem Einfluss der Substanz deutlich nach.

Kennzeichen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sind u.a. Impulsverlust, Hochrisikoverhalten, kognitive Störungen und Selbstverletzungen, wie Ritzen. Ursache sind sehr frühe Traumata, oft durch sexuelle Missbrauchserfahrungen. Betroffene leiden unter tiefgehender Einsamkeit und Insuffizienzgefühlen, häufig an Depressionen. Ihre Denkstruktur ist von Schwarz-Weiß-Denken, Übergeneralisierung und der Konzentration auf einen einzigen Aspekt bestimmt. Die Störung lässt sich neuronal nachweisen. Die Menschen werden sozial, auch von Beratern und Therapeuten, als sehr herausfordernd erlebt, ein Kennzeichen ihrer Krankheit. Dr. Joseph gab auch Hinweise für den Umgang mit Patienten, die den Beziehungsaufbau zu erleichtern helfen.

Ebenfalls eine häufige psychiatrische Diagnose bei Drogenabhängigen ist ADHS. Die Aufmerksamkeitsstörung geht mit Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit einher. 33 Prozent aller ADHS Patienten entwickeln eine Sucht.

Behandlungsansätze

Therapie lohnt sich: Rund 60 Prozent der Teilnehmer zeigen am Betreuungsende eine gebesserte Suchtproblematik. „Das heißt nicht, dass gar nicht mehr konsumiert wird. Aber langfristig schafft die Mehrheit den Ausstieg. Dran bleiben ist also wichtig“, sagt Dr. Joseph.

65 Prozent aller Rehabilitanden gaben eine Arbeitsstelle als ihr Ziel an, aber nur 25 Prozent sind in Arbeit. Die Frage, wann eine berufliche Reha begonnen werden sollte, lasse sich nur individuell beantworten. Zwar müsse eine gewisse Stabilität gegeben sein, Arbeit hat aber auch viele positive Effekte auf die Psyche der Klienten. Deshalb mache es Sinn, wenn die berufliche Reha parallel zur Behandlung erfolge. „Der Heilungsprozess kann langwierig sein. Bei Borderliner-Patienten beträgt er im Schnitt fünf Jahre“, berichtet Dr. Joseph. Er sprach sich zudem deutlich für einen individuellen Ansatz in der Arbeitsvermittlung aus, der sich an den jeweiligen Bedürfnissen und Wünschen der Klienten orientiert (IPS=Individual Placement and Support). Seine Leitfrage: „Welche Droge haben sie weswegen genommen?“ Standard-Empfehlungen, Drogensüchtige nicht in der Gastronomie oder Pflege arbeiten zu lassen, griffen zu kurz. Eine höhere Belastung für Betroffene konnten Studien nicht nachweisen. Die Erfahrungen in Wermsdorf: „Viele unserer Patienten bekommen schon während des Praktikums feste Arbeitsverträge angeboten.“ Das Klientel sei sehr arbeitswillig und nach der Behandlung seltener krank als gesunde Arbeitsnehmer.

PM: Kerstin Leppich, Journalistin

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Steffen Gonsior

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